Aufruf zur linksradikalen Vorabenddemonstration des Dortmunder Antifa-Bündnisses zum Antikriegstag 2011 in Dortmund
Am 3. September 2011 wollen Neonazis, vor allem aus den Reihen der „Autonomen Nationalist_innen“, bereits zum siebten Mal anlässlich des von ihnen sogenannten „Nationalen Antikriegstags“ in Dortmund demonstrieren. Sie mobilisieren erneut gegen „imperialistische Kriegstreiberei und Aggressionskriege“ und wollen ihre rassistische, antisemitische und antiamerikanische Ideologie in die Öffentlichkeit tragen. Mehr als Grund genug, den vermeintlichen Antiimperialismus der Neonazis genauer zu beleuchten und zu kritisieren.
Von „USrael“ und anderen Märchen – Neonazistischer „Antiimperialismus“
Die Neonazis stützen ihren „Antiimperialismus” auf ein Weltbild, in dem  vor allem die USA und Israel als imperialistische Staaten auftreten und  als Weltpolizei und angebliche Hegemonialmacht dargestellt werden. Den  europäischen Nationalstaaten wird dabei lediglich die Rolle von  Handlangern und „Vasallen“ zugeschrieben. Die vorgebliche Gegnerschaft  der Nazis „gegen Krieg und Kapitalismus“ ist also im Wesentlichen ein  propagandistisches Instrument, um die Ideologie, in der die USA, Israel  und die westliche Welt im Allgemeinen als das Übel der Welt und Gegner  des „deutschen Volkes“ ausgemacht werden, zu rechtfertigen. Die  Antikriegsrethorik der Neonazis richtet sich dementsprechend nur gegen  Kriege, die von den USA geführt und als Gegensatz  volksgemeinschaftlicher Interessen ausgemacht werden. Denn grundsätzlich  haben sie nichts gegen Kriege einzuwenden, solange sie nur „für Volk,  Rasse und Nation“ geführt werden.
Zwar stellen die Neonazis ihre Position als antiimperialistisch und  antikapitalistisch dar, doch widerspricht dieses Selbstbild nicht nur  der realen Politik ihrer historischen Vorbilder, sondern auch ihrer  eigenen politischen Programmatik. Denn nach wie vor fordern die Nazis  eine Revision der nationalstaatlichen Grenzziehungen in Europa –  zugunsten und im Sinne Deutschlands, wie sich versteht. Und auch mit dem  Antikapitalismus der extremen Rechten ist es nicht weit her.  Verbalradikale Angriffe gegen Kapitalismus und Ausbeutung gehören zwar  seit jeher zum propagandistischen Repertoire faschistischer und  nationalsozialistischer Bewegungen, doch wurden die antikapitalistischen  Elemente ihrer Ideologie dort, wo der Faschismus tatsächlich zur Macht  gelangte, stets revidiert. Die materiellen Grundlagen kapitalistischer  Produktionsweise, wie das Privateigentum an Produktionsmitteln, der  Tausch und die Lohnarbeit, wurden von den Nazis und anderen  faschistischen Bewegungen ohnehin nie in Frage gestellt. Der vorgebliche  Antikapitalismus der Nazis ist zudem auch immer mit einer zutiefst  wahnhaften und antisemitischen Ideologie verknüpft. Bereits im  historischen Nationalsozialismus wurde das Bild des „raffenden“  jüdischen Kapitalisten bemüht, dessen Einfluss sich angeblich  „zersetzend“ auf den so genannten „deutschen Volkskörper“ auswirke.  Sprechen Neonazis in ihren Pamphleten heutzutage also von Kapitalisten  und Ausbeutern, dann meinen sie damit nicht etwa die Besitzer_innen von  Produktionsmitteln, sondern Juden und Jüdinnen.
Wenn die Dortmunder Neonazis in ihrem Aufruf zum diesjährigen  „Nationalen Antikriegstag“ dementsprechend wieder einmal wortreich die  Aussen- und Sicherheitspolitik der USA und Israels geißeln, dann liegt  dem weder eine generelle Ablehnung von Kriegen noch eine ökonomische  Analyse des Verhältnisses von kapitalistischer Produktionsweise und  nationalstaatlichen Expansionsbestrebungen zugrunde, sondern eine  antisemitische und antiamerikanische Ideologie, gepaart mit dem  Bestreben, eigenen nationalen Interessen zu ihrem Recht zu verhelfen.
Linker Antiimperialismus, Friedensbewegung & neue Kriege
Die Nazis versuchen mit ihrem Aufmarsch zum Antikriegstag an Themen und  Positionen der linken und bürgerlichen Friedensbewegung anzuknüpfen.  Zwar sind diese Bemühungen nicht gerade von Erfolg gekrönt, denn  Neonazis sind und bleiben in Deutschland eine gesellschaftlich isolierte  Gruppe. Doch statt einer (selbst)kritischen Auseinandersetzung mit dem  vermeintlichen Antiimperialismus der Neonazis reagieren viele Linke mit  Empörung und Unverständnis auf die feindliche Übernahme „ihrer“ Themen  durch die extreme Rechte, obwohl es mitunter nicht gelingt, eine  deutliche Abgrenzung gegenüber einzelnen Positionen der Neonazis zu  leisten:
Der Hass auf die USA tritt auch beim Mainstream der vermeintlichen Mitte und sogar bei Linken als eine Form von Antikapitalismus auf: Dem us-amerikanischen Kapitalismus, der von einer Betonung des individuellen Leistungsethos gepraegt ist, wird in Europa ein angeblich sozialer Kapitalismus gegenübergestellt, wo Moral statt Profitgier herrscht und welcher sich durch Wohlfahrtstaatlichkeit und soziale Gerechtigkeit auszeichnet. Dass allerdings jeder kapitalistische Staat in einem System agiert, in dem es darum geht, Profit zu machen und eben nicht darum, menschliche Bedürfnisse zu befriedigen, wird dabei ausgeblendet. Wenn die USA Krieg führen, wie zum Beispiel im Irak, gehen Tausende Menschen auf die Straße, um gegen Krieg zu demonstrieren. Anlässlich des ersten deutschen Angriffskriegs seit Ende des zweiten Weltkriegs im Jahr 1999 waren die Gegendemonstrationen hingegen nur spärlich besucht. Ebenso wird der problematische Zusammenhang zwischen Antizionismus und Antisemitismus unterschätzt: Nicht nur aufgrund der häufigen antisemitischen Ausfällen bei Demonstrationen gegen Israel und dessen Politik, sondern auch aufgrund der besonderen Aufmerksamkeit, welche dem jüdischen Staat entgegengebracht wird, sind solche Aktionen kritikwürdig. Nur allzu oft bestätigt sich, dass bei der Be- bzw. Verurteilung israelischer Politik doppelte Standards angelegt werden. Derart hohe moralische beziehungsweise politische Anforderungen werden erst gar nicht auf andere westliche Demokratien angewandt und schon gar nicht von Israels arabischen Nachbarstaaten gefordert.
Den Grund für die fehlende Trennschärfe sehen wir auch darin, dass es der radikalen Linken bislang nicht gelungen ist, die entstehenden globalen Konflikte nach dem Ende der Blockkonfrontationen zu analysieren und eine angemessene (antimilitaristische) Antwort zu finden. Die Privatisierung der Kriegsökonomie, der asymmetrische Charakter des Kriegsgeschehens, die zunehmend gegen Zivilbevölkerungen geführten Kriege, das Verwischen der Grenzen zwischen polizeilichen und militärischen Einsätzen, die Kriegsstrategien der neuen Hegemonen Europa und China, die Modernisierung der Kriegstechnologien: All diese neuen Phänomene sind bislang wenig durchdrungen und gesellschaftlich verallgemeinert, sodass in dem dadurch entstehenden Vakuum verkürzte Vorstellungen gedeihen können.
Kapitalismus, Imperialismus und Krieg – Für eine Kritik, die den Namen verdient!
Eine konsequente Kritik an Imperialismus und Krieg darf sich also nicht  auf die scheinbar unmoralische oder angeblich völkerrechtswidrige  Außenpolitik einzelner Staaten fixieren, sondern muss diese Phänomene  als notwendige Folgen der bestehenden kapitalistischen  Produktionsverhältnisse begreifen. Innerhalb dieser Ordnung fungieren  Staaten als Interessenvertreter ihres nationalen Kapitals, auf dessen  Erfolg der Staat wiederum in hohem Maße angewiesen ist, um sich selbst  in der internationalen Staatenkonkurrenz behaupten zu können. Die  (gegebenenfalls auch militärische) Sicherung von Rohstoffen und globalen  Absatzmärkten im Interesse ihres nationalen Kapitals gehört insofern zu  den Kernaufgaben staatlichen Handelns. Staaten, die dieser Anforderung  nicht gerecht werden, verlieren damit auf lange Sicht ihre eigene  Existenzgrundlage.
Eine Kritik an den Zuständen, welche diesen Namen auch verdient, muss zwingend auch eine Kritik am bürgerlichen Nationalstaat sein. Krieg stellt die ultima ratio zur Durchsetzung außenpolitischer Interessen dar, doch auch innerstaatliche Unterdrückungsmechanismen sichern die Aufrechterhaltung der bestehenden Ordnung und die Durchsetzung seiner Interessen. Darunter ist aber nicht nur die Strafverfolgung bei Vergehen gegen die bürgerliche Rechtsordnung zu verstehen, sondern auch die vielfältigen Spielweisen struktureller Unterdrückung, welcher alle Teilnehmer_innen der Gesellschaft unterliegen. Konstituierendes Moment ist dabei die Bereitschaft, sich ins nationale Kollektiv zu integrieren und dessen Reichtum zu mehren. Ist diese nicht erkennbar, droht teilweise ganzen Personengruppen sozialchauvinistische und/oder rassistische Hetze, Leistungskürzungen und Abschiebungen. Auch die Forderung nach einer angemessenen Partizipation am gesellschaftlichen Reichtum wird wahlweise mit immer neuen Sachzwängen oder direkter Repression beantwortet.
Der Kampf gegen Imperialismus und Krieg hat also nur dann eine Aussicht auf Erfolg, wenn ihre ökonomischen und sozialen Grundlagen überwunden werden. An die Stelle einer auf Kapitalakkumulation, auf Ausbeutung, Konkurrenz und Tausch basierenden Ökonomie müssen gesellschaftlich geplante Produktionsverhältnisse und Verteilungsmechanismen treten, die der Bedürfnisbefriedigung der Menschen dienen. Dass wir uns dabei von den Irrtümern der Geschichte mit ihren teilweise dramatischen Folgen abwenden: eigentlich überflüssig zu erwähnen. Nur die soziale Revolution – das Stürzen aller Institutionen, welche die Unterdrückung reproduzieren – kann zum Ziel einer befreiten, solidarischen und staatenlosen Gesellschaft führen.
Wir bleiben nicht passiv, auf die befreite Gesellschaft zu warten wäre Wahnsinn. Daher beziehen wir täglich aktiv Position sowohl gegen Neonazis und deren Ideologien, als auch gegen alltäglichen Rassismus und Antisemitismus. Um ein (möglichst) schönes Leben aller schon in der Gegenwart zu erreichen, führen und unterstützen wir die Kämpfe um Teilhabe an Entscheidungen und gegen das Vordringen des Kapitalverhältnisses in jeden Winkel unseres Lebens.
Gegen Rassismus, Antisemitismus und Antiamerikanismus!
Für eine befreite Gesellschaft!