»Duisburg, mon Amour«?! Gegen die rassistischen und antiziganistischen Zustände!

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Wallraff, Schimanski, Sauerland. “Und nun die Zuwanderung von Ausgegrenzten aus Bulgarien und Rumänien” wehklagt es in einem aktuellen Artikel in der ZEIT¹. Die Autorin setzt all dem ein lapidares “Na und!” entgegen und fordert bedingungslose Liebe zu dem Ort mit dem “goldenen Herz” – “Duisburg, mon Amour”.

Doch das Bild von der Stadt der solidarischen Kumpel, die zwar hässlich ist, in der es aber wenigstens kollegial zugeht, stinkt zum Himmel. Denn bereits im September 2012, nachdem die ersten Roma nach Duisburg-Rheinhausen gezogen waren, brachen sich fremdenfeindliche Stimmungen im Viertel bahn. 300 Anwohner*innen forderten in einem offenen Brief die “Umsiedlung” der Neu-Duisburger*innen, denn diese ließen sich “aufgrund ihrer Mentalität und Lebensart”² nicht integrieren. Die Lokalredaktion der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) berichtete darüber wohlwollend und unterstützte das Anliegen der ‘alteingesessenen’ Bevölkerung. Gut ein Jahr später titelte dieselbe Zeitung: “Stadt Duisburg will erste Familien aus Bergheimer Problemhaus umsiedeln”³. Gemeinsam mit dem Vermieter, dem Kontakte zum Rotlicht- und Rockermilieu nachgesagt werden, wurden mittlerweile fast alle Familien aus dem Gebäudekomplex “In den Peschen” vertrieben. Ein “Erfolg”, der nur durch das gemeinsame Wirken von Polizei, Lokalpolitik und den Bürger*innen vor Ort erreicht werden konnte. Dazwischen lag eine monatelange Zuspitzung xenophober Hetze an allen drei Fronten. Während in sozialen Netzwerken mit brachialer Rhetorik zu Mord und Totschlag aufgerufen wurde, berichteten lokale Zeitungen beinahe täglich über vermeintliche Müllberge und sogenannte “Klaukids” im “Problemhaus”. Weiter angestachelt wurden sie dabei vom Polizeisprecher Ramon van der Maat, der im August 2013 in der TAZ forderte: „Die anderen (die nicht-integrationswilligen, adR) kommen mit unserer Gesellschaft nicht klar. Die müssen weg.“⁴

„Problemhaus“? Problemstadt!

Mehr und mehr fanden klassische Ressentiments gegen als „Zigeuner“ identifizierte Menschen Verwendung in der Stimmungsmache gegen die Neueinwander*innen. Der antiziganistische Furor, der im Laufe des Jahres 2013 auf die gesamte Stadt übergriff, rief absurdeste Aktionen von Duisburger*innen, die sich selbst höchstwahrscheinlich als der “demokratischen Mitte” zugehörig betrachten, hervor. So hängten zum Beispiel Ladenbesitzer*innen auf der Wannheimerstraße in Hochfeld Besen in ihre Eingänge, um “Zigeuner” fern zu halten⁵. In Rheinhausen demonstrierte eine Bürgerinitiative für Recht, Ordnung und vorgeblich auch gegen Fremdenfeindlichkeit. Dennoch war bei dieser Demonstration ein Dutzend Mitglieder der Duisburger Neonazikameradschaft willkommen, einzelne betätigten sich bei der Veranstaltung gar als Ordner*innen. Kundgebungen der rechtspopulistischen Splitterpartei Pro NRW, die von Rheinhausener Bürger*innen noch schüchtern beklatscht wurden, wurden zur gleichen Zeit in Neumühl, wo eine Unterkunft für syrische Bürgerkriegsflüchtlinge verhindert werden sollte, von bis zu 250 rassistischen Bürger*innen offen gefeiert – auch hier war der Mob letztlich in seinem Anliegen erfolgreich. Dass es bis zum Jahresende 2013 zu mehreren Brandstiftungen an Flüchtlingsunterkünften und an einem von Roma bewohnten Haus kam, löste bei der Polizei keinen spürbaren Fahndungsehrgeiz aus.

Während die Duisburger Verhältnisse in überregionalen Blättern teilweise kritisch begleitet wurden, erfand die Lokalpresse zu Beginn des vergangenen Jahres den Begriff “Problemhaus” für solche Häuser, in denen Sinti und Roma leben. Insbesondere die Rheinische Post (RP) tut sich im Gefühl, es ihren Leser*innen recht machen zu müssen, bis heute durch eine menschenverachtende Propaganda gegen sogenannte “Armutsflüchtlinge” und “Klaukids” hervor. Dabei reicht es der Lokalredaktion der RP oft nicht, die ohnehin schon einseitig und suggestiv formulierten Pressemeldungen der Polizei unhinterfragt zu übernehmen, sondern sie dichtet, fälscht und vermischt Kommentar und Faktenbericht⁶. Dabei überschreitet sie ein ums andere Mal die Grenze zur Hetze – worin sich die Redaktion auch durch einen Hinweis des Presserats nicht beirren ließ.

“Klaukids” überall – Rassist*innen nirgends?

Der von einer Rot-rot-grünen Koalition dominierte Stadtrat bemüht sich mit dem Mob Schritt zu halten, überholt so manche Populist*innen noch rechts und legitimiert den rassistischen bzw. antiziganistischen Konsens und lobt Oberbürgermeisters Sören Link (SPD) für seine Politik explizit. Wie diese aussieht, wird etwa anhand eines Schreibens der Stadtverwaltung deutlich, welches den Bewohner*Innen der Gebäuekomplexes “In den Peschen” zuging. In diesen fanden sich unter anderem Sätze wie diese: “Sollten Sie nicht ausreisen, werde ich Sie in Ihr Heimatland abschieben.“⁷ Besonders pikant ist diese Aussage Links vor dem Hintergrund, dass bedingt durch die Freizügigkeit innerhalb der EU eine Abschiebung der zumeist aus Bulgarien oder Rumänien kommenden Menschen gar nicht möglich wäre. Sozialdezernent Reinhold Spaniel (SPD) wiederum äußerte seine antiziganistischen Vorurteile ganz unumwunden, etwa als er nach der angekündigten Räumung der Häuser “In den Peschen” mit der Äußerung, “dass die Bewohner auf Grund ihrer hohen Mobilität weiterziehen” kommentierte⁸. Schon früher hatte Spaniel ein Integrationskonzept vorgestellt, das zum Ziel habe “den Leuten ganz simple Dinge des Lebens erklären, zum Beispiel dass eine Mülltüte in eine Mülltonne gehört. (…) Dass man seine Notdurft nicht draußen, sondern in der Toilette im Haus verrichtet.” Denn: “Wir müssen zunächst mit den einfachsten Dingen des Lebens anfangen.”⁹ Obwohl Duisburger Bürger*innen immer wieder beteuern, dass sie keine Nazis/Rechten seien, kann am Wahlergebnis eine Vermehrung des Bevölkerungsteils abgelesen werden, welcher eine extrem rassistische Politik offen fordert. So konnte etwa die NPD ihr bestes Ergebnis in den alten Bundesländern in Duisburg verzeichnen¹⁰.

Absehbar ist jetzt schon, dass alle Parteien die “Armutszuwanderung” zu einem zentralen Thema im Wahlkampf machen werden¹¹. Duisburg befindet sich damit ausnahmsweise einmal voll im deutschen und europäischen Trend. Während im Mittelmeer tausende Menschen am martialisch aufgerüsteten Europäischen Grenzschutz tödlich scheitern, erlebt Deutschland eine Welle von Anschlägen und xenophoben Demonstrationen gegen Flüchtlingsunterkünfte, die streckenweise an die rassistische Pogromstimmung zu Beginn der neunziger Jahre erinnern. Auch in Schneeberg, Berlin-Hellersdorf, Essen oder Leipzig zeigte sich in den letzten Monaten, wie schnell sich der immer latent aggressive Antiziganismus und Rassismus radikalisieren kann, wenn etwa die Zuwanderung aus Südosteuropa zunimmt, oder Heime für Asylbewerber*innen in der Nachbarschaft errichtet werden sollen.

Ereignisse wie diese machen deutlich, wie dünn die Decke der Zivilisation in Deutschland noch immer ist. Antirassistische Kritik an derartigen Vorgängen bleibt jedoch wirkungslos, wenn sie sich primär oder gar ausschließlich an extrem rechten Gruppierungen abarbeitet. Einfache Lösungen und freundliche Aufklärungsversuche müssen dabei ins Leere laufen, da hier ein faktenresistenter Hass anzutreffen ist, welcher zumeist nach Unten tritt, verbunden mit einem diffusen Neid auf Sozialleistungen, welche die ‘Fremden’ möglicherweise bekommen könnten. Diese Duisburger Zustände bedürfen einer dringenden Intervention. Die alltägliche Hetze von “ganz normalen Bürger*innen”, Mordaufrufe in sozialen Netzwerken, das Verhalten der Stadtführung und Polizei, der Zulauf den extrem rechte Gruppierungen erfahren – alle genannten Phänomene bedingen einander und können nur dann treffend kritisiert werden, wenn auch jene gesellschaftlichen Verhältnisse analysiert und angefochten werden, welche Ideologien wie den Antiziganismus und Rassismus immer wieder hervorbringen. Mit der Demonstration am 30. April wollen wir die kritikwürdigen Zustände in Duisburg und anderswo benennen und deutlich machen, dass wir ebendiese jetzt und in Zukunft nicht unwidersprochen hinnehmen werden.

Aufrufende Gruppen: A2K2 [westliches Ruhrgebiet] | Antifa Essen (Z) | Antifaschistische Aktion Soest | Antifaschistische Union Dortmund | Emanzipatorische Antifa Duisburg | Gruppe et2c (Münster) | Gruppe Phoenix (Bonn) | Initiative gegen Duisburger Zustände | Linke Liste (Siegen) | Liste Undogmatischer StudentInnen (Bonn)

¹ Zeit Online vom 13.03.2014 hxxp://www.zeit.de/2014/12/duisburg-staedtebau

² Der Westen vom 11.09.2012 www.derwesten.de/staedte/duisburg/duisburger-fordern-umsiedlung-von-roma-familien-id7087411.html

³ Der Westen vom 07.10.2013 www.derwesten.de/staedte/duisburg/stadt-duisburg-will-erste-familien-aus-bergheimer-problemhaus-umsiedeln-id8529996.html

⁴ Die Tageszeitung (TAZ) vom 23.08.2013 www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=in&dig=2013%2F08%2F23%2Fa0052&cHash=d331b2d7f028f9fe7cab00299b716621

⁵ vgl. Bericht des Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung vom 19.11.2013 www.diss-duisburg.de/2013/07/ein-deutscher-mythos-am-stiel-hochfeld-besenrein/

⁶ vgl. bspw. Rheinische Post vom 02.08.2013: “Keine Ruhe am Problemhochhaus” www.rp-online.de/nrw/staedte/duisburg/keine-ruhe-am-problemhochhaus-aid-1.3577106

⁷ Weblog XtraNews vom 05.09.2013: Eskalation im Romahochhaus: Stadt blufft mit Abschiebungen www.xtranews.de/2013/09/05/eskalation-im-romahochhaus-stadt-blufft-mit-abschiebungen/

⁸ Der Westen vom 17.12.2013, abgerufen am 19.03.2014 www.derwesten.de/staedte/duisburg/keine-ersatzquartiere-fuer-roma-familien-aus-duisburger-problem-haeusern-aimp-id8787262.html

⁹ Die Welt vom 27.08.2013: “Ich habe die Befürchtung, dass noch mehr kommen” www.welt.de/regionales/duesseldorf/article119442422/Ich-habe-die-Befuerchtung-dass-noch-mehr-kommen.html

¹⁰ vgl. www.bundeswahlleiter.de/de/bundestagswahlen/BTW_BUND_09/ergebnisse/wahlkreisergebnisse/l05/wk117/ und hxxp://www.bundeswahlleiter.de/de/bundestagswahlen/BTW_BUND_13/ergebnisse/wahlkreisergebnisse/l05/wk115/

¹¹ vgl. Artikel in der Rheinischen Post: “Duisburgs OB fordert Wiedereinreiseverbot für Straftäter” www.rp-online.de/nrw/staedte/duisburg/duisburgs-ob-fordert-wiedereinreiseverbot-fuer-straftaeter-aid-1.3914313