Aufruf zur Demonstration in Aachen gegen neofaschistische Strukturen
In der Region Aachen ist seit einigen Jahren ein verstärktes Auftreten der militanten extremen Rechten zu beobachten. Hauptakteure sind die Kameradschaft Aachener Land (KAL) und die NPD, inhaltlich und personell ineinander verzahnt. Bei beiden handelt es sich um Organisationen, die den NS-Faschismus verherrlichen, faschistische und rassistische Menschenbilder propagieren und Menschen bekämpfen, die entweder nicht in ihr rassistisches Weltbild passen oder die sie als politische Gegner_innen wahrnehmen. Letztere reichen von Antifa-Aktivist_innen bis hin zu Sozialdemokrat_innen. Wie weit Neonazis für ihre menschenverachtenden Ziele gehen, lässt sich zum Beispiel an den Morden der NSU sehen. Die Dimension rechter Gewalt geht allerdings weit darüber hinaus und wird vom Großteil der Medien oftmals nur am Rande behandelt: seit 1990 wurden mehr als 180 Menschen in Deutschland aufgrund von rassistischen und faschistischen Einstellungen getötet.
Gezielte Angriffe auf politische Gegner_innen
Uns bekannte Ziele der rechten Angriffe in Aachen sind häufig Privatwohnungen, linke Einrichtungen und Parteibüros. Mit diesem systematischen Vorgehen versuchen Neonazis, antifaschistische Aktivitäten zu behindern und politische Gegner_innen einzuschüchtern.
Kampf um die Straße
Neben diesen direkten Angriffen auf politisch Unliebsame führen KAL und NPD in der Region verstärkt Aufmärsche durch. Seit 2008 marschieren sie jährlich zweimal in Stolberg auf, um dort gegen vermeintliche „Inländerfeindlichkeit“ zu demonstrieren und die dort lebenden Migrant_innen zu bedrohen. In Aachen fanden in den letzten vier Jahren insgesamt vier neonazistische Demonstrationen statt. Neben den menschenverachtenden Inhalten, die auf diesen Demonstrationen vermittelt werden (auf einem Aufmarsch in Aachen rund um den Jahrestag der Pogromnacht 1938 verkündete beispielsweise ein Neonazi durchs Megaphon: „Die schönsten Nächte überall sind die Nächte aus Kristall“. Die Polizei schritt nicht ein), dienen diese Aufmärsche auch dem inneren Zusammenhalt der Szene. Gemeinsam wird Stärke und Kampfbereitschaft vermittelt.
Rekrutierungsfelder
Als Rekrutierungsfelder der Neonazis gelten neben Diskotheken vor allem Schulen in und um Aachen, gerade junge Neonazis werben hier um „Nachwuchs“. Aber auch der Aachener Tivoli bietet Mitgliedern von NPD und KAL Rekrutierungsfläche. Als Mitglieder einzelner rechtsoffener Fangruppen (wie vor allem der Karlsbande und Westwall) werben sie im Stadion für ihre neonazistischen Organisationen und versuchen, nicht-rechten Fangruppen den Raum in der Fankurve zu nehmen. Statt letztere zu unterstützen, wurden rechtsoffenen Fan-Gruppen von den Alemannia-Offiziellen zeitweise zusätzlich Räume zur Verfügung gestellt. Angriffe von rechten Alemannia-Fans auf andere Fußballfans wurden mitunter von der Presse als „Rivalitäten“ trivialisiert. Mittlerweile wird das Problem von Teilen der Presse aufgegriffen, vor allem, weil sich die Angriffe der Neonazis auf antirassistische Fußballfans verstärkten. Die Offiziellen des Vereins hingegen verschließen nach wie vor die Augen vor der Problematik im Stadion.
Die Polizei
Aktive Antifaschist_innen können ein Lied davon singen, wie sich die Polizei in Aachen zum Thema Neofaschismus positioniert. Ausbleibende Ermittlungsverfahren, verschleppte Ermittlungen gegen Neonazis sind die eine Sache, die andere sind polizeiliche Angriffe auf Antifaschist_innen. Letztere häufen sich. So wurden 2011 beispielsweise zwei jugendliche Antifaschist_innen ohne erkennbaren Grund von der Straße weg mit in die Wache genommen, dort gefesselt, beschimpft und bedroht. Einer von ihnen stand zuvor vor dem Autonomen Zentrum und war im Begriff, dieses abzuschließen. Nicht mal mehr das gestattete die Polizei ihm. Ob die offen zurückgelassene Tür als Einladung für die KAL gemeint war, können wir nicht beurteilen. Offensichtlich ist aber der Aachener Polizei daran gelegen, antifaschistische Menschen in Aachen einzuschüchtern.
Die Justiz
Am 1. Mai 2010 nahmen mehrere Neonazis aus Aachen am Naziaufmarsch in Berlin teil. Drei Reisebusse mit Neonazis aus verschiedenen Städten trafen sich in Aachen und fuhren „im Konvoi“ nach Berlin. Wie sich erst im September gleichen Jahres herausstellte, flüchtete eine größere Gruppe von KAL-Mitgliedern während einer Vorkontrolle der Polizei und ließ dabei neben Knüppeln, Pfefferspray, Nothämmern und anderen Waffen eine Vielzahl von mit Glassplittern und zusätzlichem Schwarzpulver präparierten Böllern zurück. Anfang August 2010 wurde der jüdische Friedhof in Aachen geschändet. Das Eingangstor sowie die Gedenktafel wurden beschmiert, auf die Mauer wurden auf einer Länge von 40 Metern Hakenkreuze, sowie über 15 Meter „Den Juden den Gashahn aufdrehen“ gemalt.
Anfang September 2010 wurden zwei Wohnungen durch die Aachener Polizei und das LKA Berlin durchsucht. Ein Neonazi aus Aachen-Richterich wurde wegen der Vorbereitung einer Sprengstoffexplosion festgenommen. Er habe am 1. Mai in Berlin „hochgefährliche Sprengsätze einsetzen wollen“. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung wurden weitere Sprengsätze gefunden. Einige Tage später wurde ein weiterer Neonazi aus Aachen in gleicher Sache verhaftet und kam in U-Haft. Am 22.2.2011 wurden beide Neonazis nach fünf Verhandlungstagen zu Bewährungsstrafen verurteilt, wegen der Vorbereitung von Explosionsverbrechen, Verwendung von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen und Volksverhetzung. Auch die Schändung des jüdischen Friedhofs und Angriffe auf das Autonome Zentrum wurden ihnen zur Last gelegt.
Ein Neonazi wurde zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Der andere wurde zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, bekam aber eine Vorbewährungsauflage, ein halbes Jahr lang in einer Aussteigerwohngruppe zu wohnen. Beide beteuerten, einer davon vor Gericht, aus der Szene auszusteigen. Der eine wurde nach dem für ihn so milden Urteil zuletzt auf dem Naziaufmarsch in Dortmund am 3.9.2011 gesichtet, der andere tummelt sich fern seiner Aussteigerwohngruppe vor bereits angegriffenen Wohngemeinschaften von Antifaschist_innen herum und zeigt wahllos Linke bei der Polizei an. Soviel zum Ausstieg und der Milde der Justiz gegenüber dem Neofaschismus. Bezüglich des Antifaschismus sieht es mit der Milde ganz anders aus. Wir können gar nicht mehr zählen, so viele Verfahren gab es in den letzten zehn Jahren gegen Antifaschist_innen. Meist geht es da um Vermummung, also darum, dass Antifaschist_innen ihr Gesicht Nazis gegenüber nicht bereit sind, zu zeigen. Und wer will ihnen das verübeln, bei all den Angriffen?
Die Stadt Aachen
Die KAL „feiert“ dieses Jahr ihr zehnjähriges Bestehen. Eine neonazistische Organisation, die offen Wehrsportcamps durchführt, bei der die Polizei immer wieder Waffen findet, die bewaffnet politische Gegner_innen angreift, die permanent den NS-Faschismus verherrlicht und dessen Opfer verhöhnt, kann sich offenbar in einer Stadt wie Aachen ganz gut halten. Das hat nicht zuletzt etwas mit dem Verhalten der Offiziellen zu tun. Lange wurde von den regierenden Parteien ignoriert, dass sich Aachen zu einer Hochburg der extremen Rechten in NRW entwickelt hat. Als begriffen wurde, dass Handlungsbedarf besteht, wurde ein „runder Tisch“ einberufen, von dem zugleich Betroffene rechter Gewalt explizit und mit schriftlicher Erklärung des Oberbürgermeisters ausgeladen wurden.
Dem nicht genug: Statt den Wert antifaschistischer Kulturarbeit in Aachen zu schätzen (und zu unterstützen!), steht das Autonome Zentrum als antifaschistischer Akteur nicht nur im Fokus der Neonazis, sondern es wird auch von der Stadt bedroht. Nach einer Schließung wegen Brandschutzbestimmungen, des eigenständigen und selbstfinanzierten Umbaus entlang dieser Bestimmungen, soll nun das Grundstück verkauft werden. Die Zukunft des AZ ist ungewiss. Und das in einer Zeit, in der der Wert antifaschistischer Kultur gerade von politischen Akteur_innen anerkannt werden müsste. Antifaschismus braucht Freiräume! Wir fordern hier keine Rosen, wir fordern, dass Antifaschismus keine Steine in den Weg gelegt werden.
10 Jahre KAL heißt nicht nur 10 Jahre neonazistischer Terror auf Aachens Straßen, sondern auch 10 Jahre antifaschistischer Widerstand – diese Zeit hat starke Solidaritäten entwickeln lassen zwischen antifaschistischen Akteur_innen jenseits der Frage, welche Strategien sie für sinnvoll erachten und welche gesellschaftlichen Utopien sie haben. Diese Solidarität ist unsere Stärke!
Am 4.2.2012 rufen wir auf zur Demonstration gegen Neonazismus, gegen Neonazi-Strukturen, gegen KAL und NPD. Wir rufen auf zur Demonstration aller antifaschistischen Menschen und Gruppen, die das Ziel mit uns teilen, dass Menschen ohne Angst verschieden sein können.
Wir fordern die Einstellung aller Ermittlungsverfahren gegen Antifaschist_innen, wir fordern ein Ende der Kriminalisierung, ein Ende der Polizei- und Justizschikanen und wir fordern eine breite, sinnvolle Auseinandersetzung mit dem Thema Neofaschismus in Aachen – von den Offiziellen der Stadt, der Alemannia, der Presse. Nicht Stellung zu beziehen, heißt die Angst zu tolerieren.
Nehmt den Nazis die Straße!