Aufruf des Dortmunder Antifa-Bündnisses zur antifaschistischen Demonstration gegen rechte Gewalt anlässlich des siebten Todestages von Thomas Schulz.
Rechte Gewalt unmöglich machen
Am 31. März findet in Dortmund eine Demonstration gegen rechte Gewalt statt. Wir wollen in diesem Zusammenhang auf die Aktualität und die Dimensionen rechter Gewalt hinweisen und die tiefe Verankerung rechter Ideologien in der Gesellschaft thematisieren. Darüber hinaus wollen wir mit dieser Demonstration auch das Ignorieren und Verleugnen von Phänomenen und Ausprägungen (alltäglicher) rechter Gewalt in den Fokus rücken sowie an die Opfer dieser Gewalt erinnern. Die Demonstration wird im Stadtteil Dortmund-Dorstfeld stattfinden. Dort wohnen viele der Neonazis, die seit Jahren in Dortmund für eine Welle rechter Gewalttaten verantwortlich zeichnen. Anlass ist der siebte Todestag des Punks Thomas Schulz, der im Jahr 2005 von einem Neonazi erstochen wurde.
Rechte Gewalt? In Deutschland alltäglich!
Seit 1990 hat die Eskalation rechter Gewalt in Deutschland mindestens 182 Todesopfer gefordert. Sie wurden ermordet – teilweise von organisierten Neonazis, teilweise von Menschen mit einem diffusen rechten Weltbild. Die Zahl der Verletzten und Traumatisierten wird in keiner Statistik erfasst.
Im November 2011 wurde klar, dass neben den bereits bekannten Morden über ein Jahrzehnt lang eine neonazistische Gruppe namens „Nationalsozialistischer Untergrund” (NSU) – unterstützt und gedeckt vom Verfassungsschutz – mordend durch das Land gezogen ist. Dabei geht rechte Gewalt, sei sie physisch oder psychisch, nicht allein von Neonazis aus. Die Täter_innen sind nur allzu oft Menschen aus der Mitte der Gesellschaft: Polizist_innen, die die ihnen verliehene Macht für rassistische Übergriffe nutzen oder Familienväter, die am Wochenende vermeintliche oder tatsächliche Schwule anpöbeln – sie sind genauso Teil des Problems.
Dortmund als Brennpunkt
Gewalttaten mit rechtem Hintergrund sorgen auch in Dortmund immer wieder für Aufsehen. Fünf Menschen wurden seit dem Jahr 2000 getötet; Medien berichten über erschütternde Übergriffe, wie den Überfall auf die Kneipe Hirsch-Q, den Angriff auf eine Demonstration des DGB am 1. Mai 2009, oder die Morde an einem Kioskbesitzer, einem Punk und drei Polizist_innen. Zahlreiche weitere Vorfälle blieben lediglich Randnotizen in der lokalen Presse oder wurden schlicht verschwiegen.
Betroffen von rechter Gewalt sind Menschen quer durch die Gesellschaft. Die Übergriffe treffen Bürger_innen, die sich gegen Nazis aussprechen, genauso wie autonome Antifaschist_innen. Menschen, die von Nazis als Ausländer betrachtet werden, sind ebenso betroffen wie diejenigen, die sich im Falle von Pöbeleien und Übergriffen solidarisch zeigen. Die Neonazis gehen mit Gewalt gegen diejenigen vor, die ihnen und ihren Plänen im Weg stehen.
Der gewalttätige Aktionismus der Neonazis schien die Offiziellen der Stadt Dortmund lange Zeit wenig zu kümmern. Erst nachdem auch vereinzelt die „Mitte der Gesellschaft“ – wie Personen und Einrichtungen von SPD, Grünen und Gewerkschaften – angegriffen wurden, begann eine Sensibilisierung und die Entwicklung eines Problembewusstseins in Bezug auf das Agieren der hiesigen rechten Szene.
Gewalt als Kernelement rechter Ideologien
Die physische Vernichtung der so genannten Volksfeinde ist ein fester Bestandteil der rechten Ideologie. Die Neonazis streben eine nach rassistischen Kriterien konstruierte „reine Volksgemeinschaft“ an. Diejenigen, die in diese „Volksgemeinschaft” nicht hineinpassen, sei es aufgrund rassistischer Zuschreibungen, oder weil sie den politischen Vorstellungen ihrer Angreifer_innen nicht entsprechen wollen, werden zum Ziel der rechten Gewalttäter_innen. Auf sie projizieren die Neonazis, aber auch die zahlreichen bürgerlichen Rassist_innen, die Probleme der Gesellschaft. Sind sie als Träger_innen der gesellschaftlichen Missstände identifiziert, schreiten die Rassist_innen zur Tat: Die „Bekämpfung” der Probleme, durch physische und psychische Gewalt bis hin zur Vernichtung ihrer „Träger“.
In diesem Zusammenhang kann es nicht verwundern, dass es zu dem Mord des NSU an Mehmet Kubaşık, einem ehemaligen Kioskbesitzer in der Dortmunder Nordstadt, nie ein Bekennerschreiben gab. Ziel der Neonazis ist es nicht, ein Symbol zu setzen, ihnen genügt es völlig, dass ein identifizierter „Volksfeind” tot ist. Der Tatort auf der Mallinckrodtstraße wurde dabei sicher nicht zufällig gewählt und die Tat geschah nicht in einem luftleeren Raum. Recherchen des Spiegel legen nahe, dass die NSU-Gruppe besonders „nicht arische Männer im zeugungsfähigen Alter“ als Opfer aussuchte.
Konzept: National befreite Zonen
Die Neonazis verfolgen das Konzept der so genannten National befreiten Zonen. Sie versuchen durch gewalttätiges und einschüchterndes Auftreten Gebiete zu schaffen, in denen sie keine Gegenwehr zu befürchten haben. Sie streben einen Zustand an, in dem sie Widerstand gegen ihre Anwesenheit und Protest gegen ihre menschenverachtende Politik mit Gewalt unterbinden können. Durch die Inszenierung ihrer Dominanz und die gezielte Terrorisierung von Gegner_innen wollen sie die Äußerung von abweichenden Meinungen schon im Vorhinein verhindern.
Rechte Gewalt aus der Mitte der Gesellschaft
Diese Gewalt hat Wurzeln bis tief in die Mitte der Gesellschaft hinein. Studien zeigen, dass ein nicht geringer Teil der Bevölkerung rechtes Gedankengut verinnerlicht hat und nach außen hin vertritt. Auf den Schulhöfen und in den Kneipen dieser Stadt gilt „schwul“ als Schimpfwort. Am Dortmunder Hauptbahnhof machen Polizist_innen Jagd auf vermeintliche Obdachlose und „Ausländer“. In der Nordstadt hetzen SPD, CDU, Polizei und Ordnungsamt gemeinsam gegen Armutsflüchtlinge aus Osteuropa.
Dieses Klima spiegelt sich auch in der Gesetzgebung wider. Die Gesetze gegen Homosexualität, einst von den Nationalsozialist_innen erlassen, wurden erst 1994 endgültig aufgehoben. Für Menschen ohne deutschen oder europäischen Pass gelten bis heute zahlreiche Sondergesetze, so etwa vielerorts die Pflicht, sich in einem bestimmten Landkreis aufzuhalten oder in lagerähnlichen Sammelunterkünften zu wohnen.
Antifaschistische Initiativen sind seit Jahren einem verstärkten Druck aus der Politik ausgesetzt. Mit Hilfe der Extremismustheorie wird versucht, rechte und linke politische Theorie und Politik gleichzusetzen. Ohne sich um politische Zielsetzungen zu scheren, wird an beiden Seiten eine Gegnerschaft zu den herrschenden Verhältnissen ausgemacht, die gleichermaßen zu bekämpfen sei. Diese Begriffslosigkeit führt zu einer Verschleierung der Tatsachen. Wenn rechte Gewalt nur noch als „Extremismus“ diskutiert wird, fällt eine Auseinandersetzung mit den eigentlichen Ursachen weg.
In einem solchen politischen Klima können die Gewalttäter_innen mit Recht annehmen, dass sie einen nicht geringen Teil der Gesellschaft hinter sich haben. Empörung rufen sie hauptsächlich dann hervor, wenn sie das staatliche Gewaltmonopol missachten und selber Hand anlegen. Die Ansicht, es gäbe in Deutschland „…zu viele Ausländer“ wird jedoch millionenfach geteilt.
Polizei – kein „Freund und Helfer“
Von Polizei und Justiz sollten sich die Betroffenen nicht zu viel erhoffen. Die Vergangenheit zeigt, dass rechte Täter_innen in Dortmund selten ermittelt und noch seltener zur Verantwortung gezogen werden. Im Falle des Überfalls auf die Hirsch-Q am 12. Dezember 2010 kam überhaupt erst Bewegung in die Ermittlung, als Antifaschist_innen ein Überwachungsvideo des Vorfalls auswerteten und in akribischer Kleinarbeit die begangenen Straftaten aufzeigten sowie mehrere Täter_innen identifizierten. Zu diesem Zeitpunkt, immerhin sechs Monate nachdem die Ermittlungsbehörden das Video erhalten hatten, hieß es von Seiten der Staatsanwaltschaft, es gäbe keine Zeug_innen und keine für eine Verurteilung hinreichenden Beweise für Straftaten. Ebenso sei eine Identifizierung der beteiligten Neonazi-Skins nur schwer möglich.
Die Polizei betreibt im Umgang mit Vorfällen rechter Gewalt eine Gleichsetzung der Betroffenen mit den Täter_innen. Berichte in der Polizeipresse behaupten nur allzu häufig eine „Auseinandersetzung zwischen Rechten und Linken”. Hier wird den Betroffenen eine Mitschuld an der gegen sie gerichteten Gewalt angedichtet, sie werden zu potentiell Tatverdächtigen. Auch bei den Morden des NSU wurde dies deutlich. Anstatt die Möglichkeit eines rassistischen Motivs in Erwägung zu ziehen, spekulierten die Ermittler_innen über Verwicklungen der Ermordeten in angebliche „kriminelle migrantische Milieus“.
Und jetzt?
Wichtig ist es, den antifaschistischen Selbstschutz zu organisieren. Möglichkeiten dazu gibt es genug. Durch Outings werden Neonazis in die Öffentlichkeit gebracht und bekannt gemacht, um ihre Identifizierung im Fall von Übergriffen zu ermöglichen. In der Vergangenheit ist es mehr als einmal gelungen, durch entschlossenes und gemeinsames Handeln Angriffe von Neonazis zurück zuschlagen. Größten Respekt haben wir vor denen, die aufstehen und Courage zeigen, wenn Menschen von Neonazis bedrängt werden. Wir wollen daher mit unserer Demonstration zum Handeln gegen rechte Gewalt und rechte Gewalttäter_innen aufrufen!
Auch die Notwendigkeit der Solidarität mit den Betroffenen gilt es hervorzuheben. Mit den Folgen rechter Gewalt darf niemand alleine gelassen werden. Es ist auch eine Aufgabe der Gesellschaft, den Menschen den Rücken zu stärken. Ein begrüßenswerter Schritt in diese Richtung ist der Start der Opferberatung Back Up, die hoffentlich ihren Beitrag zur Unterstützung der Betroffenen leisten wird. Wir demonstrieren, um auf die Opfer rechter Gewalt aufmerksam zu machen und unsere Solidarität öffentlich zu erklären!
Gegen rechte Ideologie muss vorgegangen werden. Ob in Behörden, am Stammtisch oder in der Schule: rechtes Gedankengut durchdringt weite Teile der Gesellschaft. Wir demonstrieren gegen ein gesellschaftliches Klima, das rechte Gewalt hervorbringt.
Ihr habt ihnen Rosen auf den Weg gestreut!
*Wir fordern:*
Lückenlose Aufklärung aller rechten Gewalttaten in Dortmund!
Ende der Zusammenarbeit mit Neonazis. Kein Geld, keine Räume für die rechten Schläger_innen!
Ersatzlose Schließung aller Einrichtungen des Verfassungsschutzes!
Schluss mit der Verharmlosung rechter Gewalt. Die Verdachtshaltung gegen die Opfer durch Polizei und Justiz muss ein Ende haben!
Organisiert den antifaschistischen Widerstand. Gegen Nazis und ihre Helfer_innen in Staat und Gesellschaft!
„Deutschland, verrecke. Verrecke, auf der Stelle, sofort“ (R.D. Brinkmann, „Rom,Blicke“)