In unserer Rubrik „Nazis in Hamm“ ist ab sofort die um das Jahr 2018 erweiterte Chronik Hammer Naziaktivitäten abrufbar. Im folgenden Text haben wir diese zusammengefasst.
Im Januar 2018 veröffentlichten wir einen Rückblick zu den Aktivitäten der Neonazis, der Jahre 2016 und 2017 1. Dabei griffen wir die Aussage des Verfassungsschutzberichtes auf, wonach der „Die Rechte“ Kreisverband Hamm mittlerweile deutlich weniger aktiv sei. Obwohl die Neonazis aus der öffentlichen Wahrnehmung zum Teil verschwunden waren, waren sie aber – anders als es Verfassungsschutz und polizeilicher Staatsschutz suggerierten – in dem Zeitraum nicht in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Auch rechtsmotivierte Straftaten fanden weiterhin statt. So wurden 2016 das Parteibüro von „Die Linke“ sowie der Rohbau einer Moschee im Stadtteil Herringen mit Hakenkreuzen und Nazi-Parolen Beschmiert. Zudem organisierten Neonazis in den Jahren 2016 und 2017 mindestens elf Rechtsrockkonzerte in Hamm. Sie versuchten auch in der Fanszene der Hammer Spielvereinigung (HSpVg) Fuß zu fassen und dort eine eigene Gruppe aufzubauen. Mehrmals kam es bei Spielen zu neonazistischen Ausschreitungen, darunter Platzstürme, Hitlergrüße oder rassistische Beleidigungen gegen gegnerische Fans und Spieler. Dies sind nur einige Beispiele, die verdeutlichen sollen, dass in der Zeit der Jahre 2016 und 2017 von einem Verschwinden der Neonaziszene in Hamm nicht gesprochen werden kann.
Von daher ist es wenig überraschend, dass Ende März 2018 die Neonazis zurück in die Öffentlichkeit getreten sind und insgesamt zwei Kundgebungen, eine Spontandemonstration und eine Demonstration durchgeführt haben. Die erste Kundgebung am 31. März diente zur Mobilisierung für die „Europa-Erwache“ Demonstration am 14. April in Dortmund, bei ihr versammelten sich 45 Neonazis an der Bahnhofstraße in der Innenstadt. Die zweite Kundgebung fand am 22. Juni an derselben Stelle mit rund 35 Neonazis statt, diesmal war das Thema „Solidarität für Ursula Haverbeck“. Bei Ursula Haverbeck handelt es sich um eine bekannte 90-jährige Shoahleugnerin, die derzeit in Bielefeld im Gefängnis eine Haftstrafe absitzt. Im Anschluss an diese Kundgebung liefen die Neonazis in einer Spontandemonstration zum Kentroper Weg 18, wo sich die von ihnen als „Zuchthaus“ oder „Nationales Zentrum“ bezeichneten Räumlichkeiten befinden. Die Spontandemonstration wurden jedoch kurzzeitig von der Polizei aufgehalten, was die Neonazis so sehr empörte, dass sie wenige Tage später, am 29. Juni, eine Demonstration gegen vermeintliche „Polizeiwilkür“ vom Bahnhof bis zum Kentroper Weg 18 durchführten an der zirka 100 Neonazis teilnahmen.
Neben den Kundgebungen und Demonstrationen wurde auch eine neue Facebook-Seite und eine Homepage für die Öffentlichkeitsarbeit ins Leben gerufen. Die mittlerweile von Facebook gelöschte Seite startete am 31. März, also am selben Tag der ersten Kundgebung unter dem Namen „Nationaler Aufbruch Hamm“. Ende Oktober erschien die neue Website von „Die Rechte Hamm“, die bis zur Löschung der Facebook-Seite mit deren Beiträgen gefüllt wurde. Nachdem die Website den Verlust der Facebook-Seite kompensieren musste, wird sie seit dem 19. Dezember 2018 nicht mehr bespielt. Dies könnte mit dem Wegzug des Neonazis Björn Rimmert nach Wittenberg (Sachsen-Anhalt) zusammenhängen, Rimmert war sowohl verantwortlich für die Facebook-Seite als auch für die Website der Nazis.
In Hamm zeigt sich, wie die Neonazis gefestigte Strukturen aufbauen können, wenn ihnen nicht Einhalt geboten wird. Mit ihren oben bereits genannten Räumlichkeiten verfügen sie seit 2012 über einen zentralen Treffpunkt für radikale Rechte aus der gesamten Region. Intern bewerben sie die Räumlichkeiten unter dem Slogan „Support your local racist pub“.
Die Lokalität bietet Raum für Konzerte, Vorträge und andere Veranstaltungen. So fanden 2018 mindestens zwei ideologische Schulungen statt. Einmal referierte im Juli der aus dem Prozess gegen das militante „Aktionsbüro Mittelrhein“ bekannte Düsseldorfer Neonazi Sven Skoda bei einem „Sommerfest“ über die „Heß-Demonstrationen“ 2. Skoda ist seit Januar 2019 einer von zwei Bundesvorsitzenden von „Die Rechte“. Im Bundesvorstand bildet er eine Doppelspitze mit dem gebürtigen Hammer Sascha Krolzig. Krolzig war zuerst Anführer der 2012 verbotenen „Kameradschaft Hamm“ und schließlich Kreisverbandsvorsitzender von „Die Rechte“ in Hamm. Mittlerweile lebt er in Dortmund. Anfang August 2018 führte er eine „Rechtsschulung“ im Kentroper Weg durch 3.
Die Szene veranstaltet aber auch eher „kulturell“ ausgerichtete Veranstaltungen in ihren Räumlichkeiten. So wurde im November 2018 eine „Singleparty“ 4 veranstaltet, bei der Frauen mit einem Freigetränk zur Teilnahme angelockt werden sollten. Im Dezember wurde eine „Nikolausfeier“ 5 mit Kinderbetreuung organisiert. Die Hammer Szene ist gealtert und einige Neonazis haben Familien gegründet, die sofort in das menschenverachtende Weltbild eingebunden und ideologisiert werden.
Zusätzlich fanden allein in diesem Jahr mindestens neun Konzerte oder Liedermacherabende statt: davon acht im Kentroper Weg 18 und eines, das Konzert am 27. Januar, in einem Schützenheim im Hammer Süden. Letzteres Konzert fand sicher nicht zufällig am Shoah-Gedenktag statt, an dem der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz gedacht wird. Es trat die auch für ihre antisemitischen Songs bekannte Neonazi-Band „Sturmwehr“ aus Gelsenkirchen und Hamm auf.
Ein weiteres hervorzuhebendes Konzert hierbei ist die Feier des 15-Jährigen Bestehens der 2003 gegründeten und 2012 verbotenen „Kameradschaft Hamm“ am 9. März. Dort trat Marco Bartsch von „Sleipnir“ auf. Hieran wurde erneut ersichtlich, dass sich die Neonazis selbst als Nachfolgestruktur einer verbotenen Vereinigung verstehen. Anlässlich des Jubiläums veröffentlichten sie sogar eine Broschüre mit dem Titel „15 Jahre Nationaler Widerstand in Hamm Festschrift zum Tag der alten Garde 2018“ 6.
Dass die Hammer Neonazis nicht unbedeutend im Rechtsrock-Geschäft sind, zeigt sich schon an der Tatsache, dass, nachdem das bundesweit bekannte Nazigroßkonzert „Rock gegen Überfremdung“ kurz vor dessen Beginn abgesagt werden musste, im Kentroper Weg in kürzester Zeit eine Ersatz-Veranstaltung organisiert wurde, bei der die Band „Notwehr“ auftrat. Hinzu kommt noch, dass sie innerhalb der Rechtsrockszene durch die jahrelange Etablierung Hamms als Ort, an dem ungestört durch Stadt und Polizei Konzerte gefeiert werden können, einen gewissen Status erreicht haben. Sie besitzen durch eine sehr gute Vernetzung und persönliche Kontakte oder Überschneidungen von lokalen Neonazimusikern mit bedeutenden Bands die Fähigkeit, Szenegrößen nach Hamm zu holen. So spielten, um ein paar Beispiele zu nennen, die bundesweit bekannte Hooligan Band „Kategorie C“ 7 nach der Kundgebung im März 2018 in Hamm. Ende Mai 2018 trat Michael Regener alias „Lunikoff“, der ehemalige Sänger der verbotenen Band „Landser“, im Kentroper Weg auf 8 und am 20. Oktober 2018 spielte Marco Gottschalk von der „Combat-18“-Band „Oidoxie“ in Hamm 9. Bei all diesen Konzerten traten die Bands nicht in kompletter Besetzung, sondern lediglich in Liedermachformation (Gesang und Gitarre) auf.
Die Bedeutung der Rechtsrock-Konzerte für die Neonazi-Szene wird in der Öffentlichkeit leider oftmals verkannt. Es handelt sich nicht nur um harmlose Musikveranstaltungen. Konzerte sind ein wichtiger Teil der neonazistischen Erlebniswelt: sie schaffen Gemeinschaftserlebnisse und Kommunikationsorte. Politische Inhalte werden emotional aufgeladen präsentiert und Konzerte schaffen darüber hinaus Selbstvergewisserung der teilnehmenden Szeneangehörigen. Dazu kommt, dass sie eine wichtige Einnahmequelle für die Szene sind. Mit dem Geld wird die politische Arbeit finanziert oder Prozesskosten verurteilter Neonazis bezahlt.
Jedoch sind die Nazis nicht nur im Bereich des Rechtsrock bestens vernetzt. Enge Kontakte bestehen seit Jahren zur rechtsradikalen Szene nach Chemnitz und Dortmund, Chemnitzer Neonazis besuchen des Öfteren Hamm und Hammer Kamerad*innen reisten Anfang September zu den rassistischen Ausschreitungen in den Osten. Dortmunder Neonazis unterstützten die Hammer Neonazis bei allen Kundgebungen und Demonstrationen im Jahr 2018. Radikale Rechte aus Hamm wiederum besuchten fast alle Veranstaltungen in Dortmund, seien es Demonstrationen oder Vortragsveranstaltungen 10. Ebenfalls bestehen hervorzuhebende Verbindungen zu den Jungen Nationalisten und der NPD. Hammer Faschist*innen nahmen am „3. Europakongress“ der „Jungen Nationaldemokraten“ (JN) in Riesa 11 teil und übernahmen dort mediale Aufgaben, wie das Erstellen von Fotos und Werbevideos. Auch bei einem der Leistungsmarsch der JN waren sie vertreten 12, sowie an einer häufig zur Vernetzung genutzten Brauchtumsfeier der NPD in Celle 13. Mitte September besuchten sie mit einer Delegation den JN-Gemeinschaftstag in Braunschweig 14. Doch nicht nur deutschlandweit bestehen Verbindungen. Auf der Hammer Mobilisierungskundgebung Ende März für die „Europa Erwache“-Demonstration, sprach ein Neonazi aus Ungarn ein Grußwort. Zirka eineinhalb Monate zuvor besuchten Neonazis aus Hamm und Dortmund den von dem seit 2000 in Deutschland verbotenen „Blood and Honour“-Netzwerk organisierten „Day of Honour“ in Budapest 15. Die neonazistische Veranstaltung dient der Verklärung der Schlacht um Budapest im Jahre 1944. Dort werden zusammen Konzerte gefeiert, sich vernetzt und eine Wanderung, die den Ausbruch der Nazi-Armee nachstellen soll, abgehalten. An all diesen Aktivitäten in Ungarn haben Hammer Neonazis teilgenommen.
Die Neonazis beschränken sich aber nicht auf Konzerte und Vernetzungsarbeit. Sie griffen bundesweit inszenierte Kampagnen auf, wie diejenige für die seit Mai inhaftierte Ursula Haverbeck oder die Gedenk-Demonstration für den Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess in Berlin. Im Zuge der Kampagnen verklebten sie in Hamm Plakate, hängten Banner an Brücken auf, verteilten Flyer, zeigten bei einem Fußballspiel des FC Gütersloh gegen die Hammer Spielvereinigung ein Banner 16, das Freiheit für Haverbeck forderte und zündeten dabei Pyrotechnick, schmierten Graffiti unter Autobahnbrücken oder versuchten Teilnehmende einer Veranstaltung des Runden Tisches und der Werkstadt für Demokratie und Toleranz im Casino der Hammer Spielvereinigung einzuschüchtern.
Zudem besuchten die Hammer-Neonaziszene regelmäßig Demonstrationen im gesamten Bundesgebiet wie zum Beispiel den „Tag der deutschen Zukunft“ oder die bereits erwähnten Veranstaltungen. Dort übernahmen sie meist medientechnische Aufgaben und veröffentlichten im Anschluss Fotos und Videos. Immer wieder verherrlichten sie den Nationalsozialismus, sei es mit einer „Hitler-Geburtstagsfeier“ am 20. April, dem Reinigen des NS-Ehrenmals an der Ostenallee zum 8. Mai oder der Organisation einer „Ehrenwache“ zum Volkstrauertag im November auf dem Waldfriedhof Lauheide in Münster-Handorf, auf dem mehrere NS-Verbrecher begraben liegen 17.
Die Neonaziszene ist nicht verschwunden, sie hat mehr Konzerte als jemals zuvor in einem Jahr durchgeführt und nach zwei Jahren Abwesenheit auch wieder öffentliche Veranstaltungen auf die Beine gestellt. Ihre wichtigste Ressource hierfür sind die Räumlichkeiten im Kentroper Weg 18. Dort werden Aktionen geplant und durchgeführt, deshalb muss dieser Raum für Neonazis geschlossen werden! Weitere Verharmlosungen durch den Verfassungsschutz oder die Stadt wären fatal. Denn entgegen deren Behauptungen versuchen die Neonazis immer weiter Fuß zu fassen. Alleine im Januar diesen Jahres kam es zu zwei weiteren Veranstaltungen im Kentroper Weg 18, so fand ein Abschiedskonzert für den verzogenen Neonazi Björn Rimmert mit „Flygien“ und „Aria“ 18 und ein „Grillfest“ am 26. Januar – einen Tag vor dem internationalen Shoah-Gedenktag statt 19.
1- https://aah.noblogs.org/?p=1894
2- Sommerfest
3- Rechtsschulung
4- Singleparty
5- Nikolausfeier
6- 15 Jahre KSH
7- Kategorie C
8- Lunikoff
9- Oidoxie
10- Vortragsveranstaltung mit Frank Kraemer in Dortmund
11- Hans Jochen Voß und Björn Rimmert in Riesa
12- Teilnahme JN-Leistungsmarsch
13- Brauchtumsfeier NPD Celle
14- JN-Gemeinschaftstag in Braunschweig
15- Tim Hauptführer Sascha Krolzig beim Day of Honour in Budapest
16- https://www.wa.de/sport/hamm/fussball-oberliga-staatsschutz-ermittelt-nach-rechtsextremem-plakat-spiel-hammer-spvg-9889390.html
17- https://www.wn.de/Muenster/3639304-Stadt-erstattet-Anzeige-Nazi-Aufmarsch-in-Lauheide
18- Flygien und Aria Konzert
19- Grillfest