365 Tage offensiv – Gegen Nazis und Rassismus!
Aufruf zur antifaschistischen Demonstration am 12. / 19. Januar 2013 (1)
Im Januar 2013 wollen erneut hunderte Nazis durch Magdeburg marschieren. Grund dafür ist, wie auch in den vergangenen Jahren, der Versuch über die Bombadierung der Stadt Magdeburgs im Zweiten Weltkrieg ein geschichtsrevisionistisches Bild zu verbreiten. Dabei konstruieren sie eine angeblich “unschuldige deutsche Zivilbevölkerung“ im Nationalsozialismus. Dass Magdeburg Rüstungszentrum mit zehntausenden ZwangsarbeiterInnen für die Fortsetzung des Krieges bedeutsam war (2), wird bewusst ausgeblendet. Diese Verdrehung der Geschichte und das Auslassen von historischen Fakten ist fester Bestandteil der Nazipolitik.
Wie in den vergangenen Jahren auch werden verschiedene Gruppen, Bündnisse und Initiative zu Aktivitäten gegen den Naziaufmarsch im Januar aufrufen. Dazu gehört erstmalig das neu gegründete Bündnis „Magdeburg Nazifrei“ dessen Zielsetzung die Verhinderung das Naziaufmarsches durch friedliche Menschen-Blockaden ist.
Wir als linksradikale Gruppe rufen ebenfalls zu Aktionen gegen das Nazievent auf. Doch wollen wir nicht beim Antifaschismus als Minimalkonsens stehen bleiben, sondern an diesem Tag eine Kritik an den “ganz normalen Verhältnissen” äußern und die gesellschaftlich verankerten Ursachen des Naziproblems benennen.
Antifaschistische Politik darf sich nicht auf einzelne Events beschränken, Nazis sind das ganze Jahr über aktiv und müssen kontinuierlich bekämpft werden. Dazu müssen Widersprüche und menschenfeindliche Einstellung in der Gesellschaft analysiert, aufgedeckt und bekämpft werden.
Dabei steht für uns fest, dass ein sich jährlich neu entdeckter „Nazis Raus! Antifaschismus“ nichts an dem eigentlichen Problem ändert. Das Ziel ist eine kontinuierliche, auf Theorie basierende linksradikale Praxis. Dabei ist es eine von vielen Aufgaben Nazis den öffentlichen Raum zu nehmen.
Wer über Rassismus aus der “Mitte” nicht reden will, der sollte auch über Naziaufmärsche schweigen…
Die Notwendigkeit sich gegen Nazis zur Wehr zu setzen steht für uns außer Frage – dabei lassen wir uns nicht von einer moralisierenden Gewaltdebatte im vorauseilenden Gehorsam zwingen, ständig unsere Friedfertigkeit zu betonen. Wir können und wollen nicht friedlich sein, solange es die Verhältnisse nicht sind. Dass dies auf verschiedenen Ebenen geschieht beweist nicht nur ein Verfassungsschutz, der die Aktivitäten von Naziterroristen verschleiert und fördert.(3) In Sachsen-Anhalt ist es die Polizei, welche auf friedliche Demonstrierende solange einprügelt, bis Menschen schwer verletzt werden und irreversible Schäden davon tragen.(4)
Unter diesen Zuständen ist der Naziaufmarsch nur ein Event im rassistischen Normalzustand, in welchem permanent Verhältnisse voller Gewalt produziert werden. 2013 jährt sich die de facto Auflösung des Grundrechts auf Asyl zum 20. mal. Als sich im August 1992 mehrere Tausend Menschen in Rostock an einem Pogrom gegen Migrant_innen beteiligten, waren die beteiligten Nazis nur ausführende Werkzeuge einer chauvinistischen Grundhaltung, welche in den Köpfen der gesamten “deutschen” Bevölkerung verankert ist. Dankbar wurden die rassistischen Ausschreitungen aufgegriffen, um die monatelange “Asyldebatte” in Deutschland durch einen „Kompromiss“ zu beenden, der es unmöglich machen sollte, dass Menschen in Deutschland Schutz finden. Mit derselben Geisteshaltung organisiert sich derzeit eine ganze Nachbarschaft gegen die Einrichtung einer Unterkunft für Asylbewerber_innen im Leipziger Stadtteil Wahren. Die Anwohner_innen argumentieren mit absurden rassistischen Argumenten, beispielsweise dem befürchteten Wertverlust von Grundstücken oder der Zunahme von Drogen- und Beschaffungskriminalität. (5)
Solche Ereignisse beweisen, wie wenig die “demokratische Mitte” vom dem eigentlich als extremistisch definierten “rechten Rand” entfernt ist.
Ungeachtet der Offensichtlichkeit weit verbreiteter menschenverachtender Einstellungen (6) wird in bürgerlichen Medien die Einteilung von “guten Demokraten” und “bösen Extremisten” stetig reproduziert. Damit konstruiert sich die bürgerliche Mitte ein unkritisches Eigenbild, welches rassistische, antisemitische oder chauvinistische Einstellungen ignoriert. Menschenverachtende Einstellungen werden auf gesellschaftliche Ränder projektiert, in der Folge bleiben neben der Demokratie-kompatiblen Mitte jene “extremistischen” Gruppen, die aus allen politischen Prozessen ausgeschlossen und mit Repression bekämpft werden. Obwohl dieses Modell zur Erklärung der Gesellschaft politkwissenschaftlich vielfach widerlegt wurde (7), ist es weiterhin sehr wirkmächtig im Diskurs über Nazis.
Rassismus aber nur als ein Problem von Nazis abzutun, würde der Realität nicht ansatzweise gerecht werden. Wir wissen, dass Rassismus als gesamtgesellschaftliches Problem und Herrschaftskonstrukt einen strukturellen Ursprung im Aufbau der bestehenden Gesellschaftsform hat.
Eine kapitalistisch bedingte Form von Unterscheidung der Menschen in einem für die Ausbeutung nutzbaren Wert prägt ebenfalls das herrschende Denken. Ein reflexartiger Zustand, der besonders in Zeiten von wirtschaftlichen Krisen immer wieder verschärft und durch bestehende Gesetze und Behörden reproduziert wird. Die Einteilung von Menschen in “nützlich” oder “unwert” ist also systemimmanent und begegnet uns in den Zumutungen und Schädigungen jeden Tag. Dabei spielen immer zwei verschieden Faktoren mit: ökonomische Interessen sowie ein historisch gewachsener Rassismus. Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn Nazis glauben mit ihren Aktionen ganz im Sinne der Bevölkerung zu handeln; sie sind eben nur der völkische und destruktivste Ausdruck in einer Gesellschaft der Sarrazins und Buschkowskys.
Die Nazis auf der Straße setzen oftmals nur das in die Tat um, was als Grundtenor in rassistischen und sozialdarwinistischen Mehrheitsmeinungen vertreten wird. Durch den Aufbau der bestehenden Ordnung ist Ungleichheit von Menschen vorausgesetzt. Daher verwundert es nicht, dass die deutsche Gesellschaft so etwas wie Nazis immer wieder hervorbringt. Eine Kritik an Rassismus, sowie an der Einteilung von Menschen in wertvoll und wertfrei, kann nur eine Kritik an der kapitalistischen Verfasstheit der bestehenden Verhältnisse sein.
Nazis? Gibt es auch in Magdeburg – und zwar jeden verdammten Tag.
Wenn in PR-Kampagnen behauptet wird, Magdeburg sei kein Ort für Nazis, sondern eine weltoffene Stadt können wir dem nur entgegnen: Magdeburg hat 365 Tage im Jahr ein Naziproblem! Dieses tritt zwar am Tag des Trauermarsches am offensichtlichsten in Erscheinung. Jedoch geschehen rechte Gewalttaten nicht nur rund um den 16. Januar, sondern es existiert eine beständige Bedrohungslage im öffentlichen Raum. Darunter haben besonders all jene Menschen zu leiden, die nicht in das menschenverachtende Weltbild der Neonazis passen. Wie schlimm die momentane Situation ist, zeigt allein die Chronologie rechter Übergriffe, welche von der Mobilen Beratung für Opfer rechter Gewalt erstellt wird.(8)
Antifaschistische Demonstration und direkte Aktionen gegen den Naziaufmarsch
Der Naziaufmarsch in Magdeburg ist der letzte feste Termin der rechten Szene mit stetig steigender Teilnehmendenzahl. Diese Entwicklung ist vor allem als Ausgleich zu verstehen, da durch erfolgreiche Gegenaktivitäten von Antifaschist_innen (z.B. in Dresden) und vermehrter Repressionen gegenüber Organisatoren (z.B. in Dortmund) andere Nazievents wegbrechen. Die Nazidemonstration in Magdeburg dient in erster Linie dazu, Sympatisant_innen und Mitläufer_innen weiter anzubinden und ein identitätsstiftendes Gemeinschaftserlebnis für die eigene Szene zu ermöglichen.
Deshalb ist es wichtig, im Januar verstärkt nach Magdeburg zu mobilisieren. Allerdings sehen wir es als notwendig an, auch an diesem Tag eine linksradikale Kritik an den Verhältnissen zu vertreten.
Daneben wollen wir gemeinsam versuchen, den Nazis ihren Trauerzug so unangenehmen wie möglich zu machen – mit allen dazu notwendigen Mitteln. Am Tag an sich wollen wir vor Beginn des Naziaufmarsches eine antifaschistische Demonstration durchführen, mit der Rassismus als gesamtgesellschaftliches Problem thematisiert und eine konsequente Kritik an den bestehenden Verhältnissen auf die Straße getragen wird. Im Anschluss wollen wir den Nazis mit handfesten Argumenten entgegen treten.
Die Einsatzkräfte der Polizei werden mit der üblichen Brutalität gegen Antifaschist_innen vorgehen. Dabei betrachten wir die Polizei nicht als irgendeine neutrale Institution, die zufällig zwischen irgendwelche Fronten gerät. Es sind genau jene Bullen, die das ganze Jahr über Abschiebungen durchführen, emanzipatorische Strukturen angreifen und letztendlich die Aufrechterhaltung des kapitalistischen Normalbetriebes garantieren.
In Magdeburg gibt es neben den marschierenden Nazis viele weitere Ziele antifaschistischer Intervention, die es am 12. bzw. 19. Januar 2013 zu entdecken gilt. Aktionen im gesamten Stadtgebiet können dazu bei tragen, unkontrollierbare Räume zu schaffen. Schon 2012 waren die 1200 Einsatzkräfte zeitweise dermaßen überfordert, dass der Aufmarsch mit Pyrotechnik und allerlei mehr bereichert werden konnte. Diese Szenen zeigten uns, dass es durchaus möglich ist, das Nazievent erfolgreich zu stören.
Deshalb: 365 Tage offensiv – gegen Nazis und Rassismus!
AK Antifa Magdeburg im November 2012