Nach dem Verbot der „Kameradschaft Hamm“ (KSH) wird auch in Hamm über ein kommunales Konzept gegen die Aktivitäten der Neonazis diskutiert. Über Jahre hinweg waren die Neonazis und ihre Taten von der Stadtspitze und der Mehrheit der politischen Parteien ignoriert und verleugnet worden. Im Herbst 2012 stellten SPD und Die Linke im Rat zwei Anträge zur Einrichtung einer kommunalen „Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus“ bzw. einer „Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt“. Der CDU-Bürgermeister Hunsteger-Petermann und seine Verwaltung verschleppten die Entwicklung eines „Handlungskonzepts gegen Rechtsextremismus“ in den folgenden Monaten erst einmal. Dann tat sich auf einmal doch etwas. Auf der gestrigen Sitzung des Kinder- und Jugendhilfeausschusses sollte über „Hammer Handlungskonzept“ abgestimmt werden.
Städtisches Handlungskonzept ist ein „Armutzeugnis“
Was in dem von der Stadtverwaltung vorgelegten Handlungskonzept steht, ist allerdings ein schlechter Witz. Oder ein „Armutszeugnis“, wie das antifaschistische Jugendbündnis haekelclub590 befand:
„Als Fazit bleibt festzustellen, dass dieses Konzept einem unüberlegtem Schnellschuss gleichkommt und nicht das Papier wert ist, auf das es gedruckt ist. Anstelle einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der Gefahr von Rechts und Strategien, dieser entgegenzuwirken, werden falsche Behauptungen getroffen, unvollständige oder ungenaue Angaben und wissentlich falsche Feststellungen gemacht.“
Besonders ärgert lokale Antifaschist*innen die Dreistigkeit, mit der die Stadt behauptet, Hamm sei „keine Hochburg für Rechtsextremismus“. So heißt es im Handlungskonzept:
„Aufgrund der Erfahrungen der vergangenen Jahre kann eindeutig festgestellt werden, dass Hamm keine ‚Hochburg‘ für Rechtsextremismus, Gewalt oder Rassismus ist. Die in Hamm in den vergangenen Jahren durchgeführten Kundgebungen und Aktionen von Rechten und anderen Extremisten wurden überwiegend von Gruppen und Beteiligten, die außerhalb der Stadt Hamm leben, geplant und durchgeführt.“
Im Papier bezieht sich die Stadtverwaltung auch auf Aussagen der Oerberatungsstelle „Back up“, nach denen „nur sehr wenige Fälle“ rechter Gewalt in Hamm bekannt seien. Dass Hammer Neonazis seit 2003 zahllose Aufmärsche, Propaganda-Aktionen und Gewalttaten verübt haben – dass also die Aussage der Stadtverwaltung nichts als eine Lüge ist – dies machte eine siebenseitige Chronik der Neonaziaktivitäten in Hamm deutlich, die von der Antifa Hamm jüngst veröffentlicht wurde. Die Antifa Hamm schrieb dazu in einer Pressemitteilung:
„In Hamm gab es seit 2003 20 Demonstrationen und Kundgebungen von Neonazis. Neben dem Kameradschaftsführer Sascha Krolzig, welcher auch außerhalb Hamms als Versammlungsleiter von Demonstrationen fungiert, sind es maßgeblich organisierte Neonazis aus Hamm die vor Ort an Planung und Durchführung beteiligt sind. Auch nach dem Verbot sind Einzelpersonen aus dem Spektrum der „Kameradschaft Hamm“ wieder aktiv und haben einen Ortsverband der extrem rechten Partei „Die Rechte“ gegründet, die die Arbeit der „KSH“ weiter führt.“
KZW – „Kompetenzzentrum Rechtsextremismus Westfalen“
Die Stadt Hamm scheint an einer ernsthaften Auseinandersetzung mit Neonazismus und Rassismus nicht interessiert zu sein. Sie will keine kommunale Arbeitsstelle gegen Rechtsextremismus einrichten, sondern regt an, einem „Kompetenzzentrum Rechtsextremismus Westfalen“ beizutreten, das sich im April als Verein gründen soll. Das „Kompetenzzentrum“ trägt die geschmacklose Abkürzung KZW. Verantwortlich für die Konzeption dieses KZW sind Dr. Dierk Borstel (FH Dortmund) und Claudia Luzar (Leiterin von Back up). Der OB kann das KZW, dessen Standort Hamm werden soll, als eine von der Stadt geförderte Maßnahme gegen Rechts verkaufen, ohne dass die Stadt selbst Verantwortung übernehmen muss. Für Borstel/Luzar winken im Gegenzug der Zugriff auf den ein oder anderen Fördermitteltopf, zumal das KZW-Konzept auf Expansion ausgelegt ist. Mit Kommunen und Verbänden zwischen Bochum und Bielefeld sei man bereits im Gespräch, ließ Luzar in der Lokalpresse verlauten.
Für das KZW wurde von Borstel/Luzar ein Konzept geschrieben, das eklatante Mängel und eine fatale politische Ausrichtung aufweist. Im Papier wird eine vollkommen unzureichende Problemanalyse vorgenommen, es problematisiert nämlich ausschließlich organisierten „Rechtsextremismus“ in Form der NPD und „Autonomen Nationalisten“. Andere Strömungen wie „Pro NRW“ werden nicht berücksichtigt, die immerhin über einen Hammer Kreisverband verfügende Partei „Die Rechte“ wird nicht erwähnt. Ebenso fehlt jede kritische Perspektive auf den Rassismus in der Mitte der Gesellschaft. Dieser existiert im Konzept des KZW als Problem gar nicht, von institutionellem Rassismus ganz zu schweigen.
Da die gesellschaftliche Perspektive fehlt, sind die vom KZW vorgehaltenen Beratungsangebote auch nicht mehr als das Kurieren an Symptomen. Es soll lediglich eine „Aussteigerberatung“ (laut Borstel/Luzar wirkt diese der „rechtsextremen Szene selbstaktiv entgegen“) und eine „Opferberatung“ (Zitat Borste/Luzar: „Denn Menschen sollen sich wohlfühlen, nicht schutzlos“) geben. Als dritte „Säule“ führen sie noch „Runde Tische“ („stärken das demokratische Zusammenleben vor Ort“) auf. Auch diese „Säule“ kommt nicht von ungefähr, schließlich existiert in Hamm ein „Runder Tisch gegen Radikalismus und Gewalt“, dessen Beitrag zur Bekämpfung der Neonazis in den letzten Jahren aber ziemlich dürftig war.
Borstel/Luzar biedern sich mit ihrem fragwürdigen „Konzept“ an den Hammer Oberbürgermeister an. Sie bieten ihm, wenn er ihr KZW unterstützt, an, dass er dadurch einen Imagegewinn erzielt. So heißt es im Papier unter dem Punkt „Ziele“:
„Westfalen hat die Chance sich überregional als demokratische Modellregion zu präsentieren. Dieses Ziel verfolgt das
„Kompetenzzentrum Rechtsextremismus Westfalen“ (KZW).“
Um eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Rassismus und organisierten Rechtsradikalen geht es hier offensichtlich nicht. Es ist auch nicht das erste Mal, dass sich Borstel für Auftragsarbeiten der etablierten Politik hergibt oder dass Claudia Luzar fragwürdige Stellungnahmen verbreitet. So schrieb Dierk Borstel dem Dortmunder OB die als „unabhängige Wissenschaft“ verbrämte Legitimation für dessen Politik gegen das Antifa-Camp in Dortmund. Kritisch dazu: [1] und [2] Claudia Luzar sorgte Anfang des Jahres mit einem „Offenen Brief an die rechte Gewalt“ für Empörung, in der sie nicht nur den Neonazis gute Ratschläge gab, wie sie ihren „politischen Protest“ ausdrücken können, sondern auch Neonazi-Gegner*innen vorschreiben wollte, auf rechte Angriffe auf keinen Fall gewalttätig zu reagieren. Kritisch dazu: [1] [2] [3]
Konzepte von oben, von Oberbürgermeisters Gnaden?
Das KZW soll als „zentrale Stelle“ ein „einheitliches regionales Konzept zur Bekämpfung des Rechtsextremismus in Westfalen“ entwickeln. Kommunen und Bürger*innen sollen alle „wichtigen Erkenntnisse, Beratungs- und Begleitungsangebote aus einer Hand bekommen“. Das KZW wolle seine „Erkenntnisse über den Rechtsextremismus in Westfalen als Dienstleister für Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft“ zur Verfügung stellen. Besonders kritische Konzepte werden dabei wohl nicht herauskommen. Die nötige Distanz zu Politik und Verwaltung fehlt denn Macher*innen des KZW offensichtlich. In der Auseinandersetzung mit Neonazismus und Rassismus brauchen wir kein KZW, sondern einen gesellschaftskritischen Antifaschismus, der von organisierten Antifa-Gruppen, lokalen Bündnissen und engagierten Menschen vor Ort getragen wird. Auf selbst ernannte „Rechtsextremismus-Experten“ und ihre unkritischen „Konzepte“ und „Ratschläge“ können wir verzichten.
Quelle: Antifaschistische Linke Münster